Übersetzungen
Die Komplexität, die dieser relativ schlichten Definition innewohnt, beschreibt Jiři Levý wie folgt: „Aus teleologischer Sicht ist Übersetzen ein Kommunikationsprozess: Das Ziel des Übersetzungsvorganges ist es, dem zielsprachlichen Leser die Kenntnis des Originals zu vermitteln. Aus der Sicht der Arbeitssituation des Übersetzers (d.h. aus pragmatischer Sicht) ist die Übersetzung immer ein Entscheidungsprozeß: Eine bestimmte Anzahl von konsekutiven Situationen - oder von Zügen wie in einem Spiel -, die den Übersetzer zwingen, zwischen einer bestimmten (und sehr oft genau angebbaren) Zahl von Alternativen eine Wahl zu treffen." (In: Wilss, 1981, S.219) Hinzu kommen die konfliktreichen kulturellen Aspekte, die das folgende Zitat von Prof. Dr. Irene Weber-Henking einprägsam beschreibt: „Übersetzen bedeutet stets... weiterlesen
Die Geschichte der Übersetzung ist mehrere Tausend Jahre alt und
teilweise nur bruchstückhaft bekannt. Theoretisch hat es mündliche
Übersetzungen schon seit der Entstehung und Entwicklung der Sprache
gegeben. Bereits in frühester Zeit gab es an den Grenzen zwischen
verschiedenen Territorien Personen, die auch die Sprache der Nachbarn
beherrschten, um mit ihnen kommunizieren zu können. Die Geschichte des
Dolmetschens reicht mit Sicherheit noch weiter in die Vergangenheit als
die Geschichte des Übersetzens, weil auch die Sprache selbst viel älter
als die Schrift ist.
Kontinentale, nationale und regionale Unterschiede in der langen
Entwicklungszeit der Übersetzung und des Verständnisses einer guten
Übersetzung können in dieser Abhandlung nicht berücksichtigt werden. Der
folgende geschichtliche Abriss der Übersetzung konzentriert sich auf
die europäische Sicht:
Große Bedeutung für die Entwicklung der Übersetzungstätigkeit hat die
Religion gespielt. Mit der Ausbreitung des Christentums und der damit
verbundenen Christianisierung und Missionierung in bis dato
nicht-christlichen Gebieten, wurde das Wort Gottes den verschiedenen
Völkern durch Übersetzungen in die jeweiligen Volkssprachen näher
gebracht. Bereits im 3. Jhr. v. Chr. existierte eine schriftliche
Übersetzung der Bibel, die Septuaginta. Der Autor der lateinischen
Bibelübersetzung Vulgata war der Kirchenlehrer HIERONYMUS, der heute als
Schutzpatron der Übersetzer gilt. Sein Todestag – der 30. September –
wird heute als Internationaler Übersetzertag gefeiert.
Lange bevor sich die Sprachwissenschaft als Disziplin durchgesetzt hat,
war die Übersetzungsarbeit eine literarische Tätigkeit und somit auch
ein literarisches Problem. Bereits in der ANTIKE existiert das
altbekannte Problem – soll man bei der Übersetzung dem Wortlaut des
Textes treu bleiben (wortgetreue Übersetzung) oder aber nur den Sinn des
Textes wiedergeben (eine freie, literarische Übersetzung, eine
Adaptation). Bei der Wiedergabe von Reden waren in der Antike z.B. nicht
nur bloße Übersetzer am Werk, sondern talentierte Schriftsteller, die
mit der Sprache umzugehen wussten. Damals maß man dem Sinn der
Übersetzung mehr Bedeutung bei als der Anzahl der Wörter.
In nachchristlicher Zeit meinte EVAGRIUS, ein Zeitgenosse und Freund von
HIERONYMUS, dass eine Wort für Wort Übersetzung den Sinn verberge. An Wörtern dürfe durchaus etwas fehlen, nicht jedoch am Sinn.
Wie bereits erwähnt, ist bei der breiten Ausweitung der übersetzerischen
Tätigkeit das Christentum und die Christianisierung Ursache und
wichtigste Treibkraft gewesen. Um die Inhalte des Christentums den
Völkern näher zu bringen, bedurfte man der Verwendung der Volkssprachen.
Viele erste Schriftstücke zahlreicher Sprachen sind daher auch
Übersetzungen. Die „Eulaliasequenz“ aus dem Jahr 883 ist der erste
literarische französische Text und eine volkssprachliche Adaptation
einer lateinischen Hymne. Die Geburtsstunde der deutschen Sprache
fundiert auf den „Straßburger Eiden“, einer Übersetzung einer
diplomatischen Niederschrift in lateinischer Sprache.
Im MITTELALTER war das Übersetzungsverständnis im geistlichen
Bereich noch von der Vorstellung beherrscht, dass die Heilige Schrift
das Wort Gottes und somit unantastbar sei. In der Übersetzung schlug
sich das insofern nieder, dass eher Wort für Wort übertragen und die
Anzahl der Wörter in der Zielsprache so gut wie beibehalten wurden. Man
war demnach um größte Wort- und Texttreue bemüht, damit eine
Verfälschung der Inhalte durch persönliche Interpretation möglichst
ausgeschlossen werden konnte. Außerhalb geistlicher Schriften, so z.B.
bei Gedichten, Epen und Heiligenviten ging die Tendenz in die umgekehrte
Richtung. Hierbei handelte es sich im engen Sinne nicht mehr wirklich
um Übersetzungen, sondern um Adaptationen oder freie Übersetzungen. Es
wurde resümiert, entwickelt und umgestaltet.
Im Mittelalter sind neben den geistlichen Übersetzungen auch die
weltlichen von großer Bedeutung. Für die moderne Welt, waren vor allem
Übertragungen der Araber mit Unterstützung der Juden aus der hebräischen
und griechischen Sprache sehr wichtig. Dank ihrer Übersetzungstätigkeit
wurden Europa bedeutende wissenschaftliche Erkenntnisse der alten
Mediziner, Philosophen, Mathematiker und anderer Wissenschaftler
offengelegt. Vor allem in Spanien und dort in Toledo, das im Zuge der
muslimischen Eroberung der Iberischen Halbinsel zum kulturellen Mittler
zwischen Orient und Okzident geworden ist, geht man dank zahlreicher
christlicher, jüdischer und muslimischer Gelehrter eifrig der
Übersetzungstätigkeit nach und bringt griechische Werke über den
arabischen Weg an die europäischen Völker in ihren jeweiligen
Volkssprachen.
In der RENAISSANCE erhalten Übersetzungen durch die Entstehung
der Nationalsprachen eine völlig neue Bedeutung. Die Volkssprachen,
deren Nutzungsbereich bisher eingeschränkt war, finden nun auch in der
Verwaltung, Literatur, Justiz und Diplomatie sowie in der Philosophie
und anderen Wissenschaften Verwendung. In der Blütezeit der
Buchdruckerkunst erreicht zudem eine Vielzahl an Schriften die Leser,
die keine der alten Sprachen, wie Latein, Griechisch, Arabisch oder
Hebräisch, lesen können. Auch die Reformation hat die Übertragung der
Heiligen Schrift in die neuen Nationalsprachen beeinflusst.
Als LUTHER im 16. Jahrhundert die ganze Bibel ins Deutsche übersetzt
hat, merkte er an, dass man zum Übersetzen den Text genau verstehen
muss. Ein falscher Christ oder ein Jude beispielsweise könnten daher
niemals das Evangelium übersetzen, denn nicht das Wort selbst zähle, sondern der Sinn.
Er ist der Meinung, dass der Respekt vor den Wörter, wie es noch in der
Epoche davor üblich war, den Sinn und auch die Zielsprache „tötet“. Die
Epoche der Renaissance hat mit den Normen aus dem Mittelalter, der Wort
für Wort Übersetzung, gebrochen und sich der Tradition von CICERO,
HORAZ und HIERONYMUS zugewandt und sich auf den Sinn eines Textes
konzentriert.
Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Übersetzens und damit, was
eine gute Übersetzung ausmacht, wurde immer stärker. Bis heute besitzen
fünf Grundregeln, aufgestellt von ETIENNE DOLET, Schriftsteller und
französischer Philologe, Gültigkeit: ein Übersetzer
- muss den Sinn und den Stoff eines Autors völlig verstehen
- muss die Ausgangs- und die Zielsprache völlig beherrschen
- soll sich nicht an den genauen Wortlaut klammern
- sollte sich vor Latinismen (also Lehnwörtern anderer Sprachen) hüten
- sollte einen guten, flüssigen, eleganten und gleichmäßigen Stil haben